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In Norberts Holzhütte ist zwar genauso kalt wie draußen, aber es gibt warme Decken und so mache ich es mir auf der Eckbank bequem. Morgens lasse ich mir viel Zeit mit dem Zusammenpacken und unterhalte mich kurz mit einem verwunderten Nachbarn, der sich wohl fragt was der bärtige Mann in Norberts Hütte macht.
Mein Bart wird mangels Kamm und Friseur immer ungezähmter und womöglich sehe ich schon ein bisschen abschreckend aus. Immerhin rieche ich jetzt nicht mehr nach Schweiß sondern nach Lagerfeuerrauch. Ein leichter Fortschritt, denke ich mir, doch eine Dusche würde mir trotzdem gefallen.
Gut gelaunt spaziere ich durch den nächsten Ort und fülle dort meine Vorräte auf. Ich verlasse die Ortschaft und wandere weiter durch dichte Wälder, durchzogen von schroffen Dolomitfelsen. Dieser Teil der fränkischen Schweiz ist wohl besonders beliebt zum Klettern. Zumindest deuten viele ausgewiesene Kletterrouten an den Steilwänden darauf hin. Kletterer oder Wanderer sind aber heute sowie die letzten Tage keine unterwegs. Ich passiere die Teufelsgrotte, natürlich geschlossen, und versuche beim nächsten Gasthof mein Glück. Gottseidank darf ich als einziger Gast übernachten und meine Wäsche waschen.
Die nächsten zwei Tage ähneln sich sehr. Ich mache viel Strecke, insgesamt 80 km. Die Landschaft ist wunderschön. Das Wetter ist grau mit gelegentlichen Regenschauern und Schneegestöber.
Mal verläuft der Weg durch tiefe, waldige Täler, entlang eines Flussufers, dann wieder über kleine Berge und durch alte Dörfer, oft mit prächtigen Schlössern und wehrhaften Burgen. Die Orte sind wie ausgestorben. Nur einmal begegne ich einer Frau, die mich vor Wildschweinen warnt und erzählt sie traue sich deswegen nicht allein in den Wald. Ich mache mir nicht viel daraus und verabschiede mich höflich, doch innerlich achselzuckend.
Eines Nachts, als ich vor das Zelt trete um mich zu erleichtern, lasse ich meine Stirnlampe im Zelt. Es ist stockfinster und totenstill im Fichtenwald. Plötzlich prescht irgendetwas Großes nur wenige Meter neben mir durch das Dickicht. Ich sehe rein gar nichts und kann nicht erkennen ob Wildschwein oder Reh. Verblüfft stelle ich fest, dass ich bei solchen Begegnungen nicht einmal mehr erschrecke. Zu Beginn der Reise lag ich noch bei den kleinsten Geräuschen mit klopfendem Herzen wach und konnte kaum einschlafen. Mittlerweile lege ich mich einfach wieder in mein Zelt und schlafe schnell ein.
Heute ist der 19. April, ein Tag auf den ich mich aus zwei Gründen freue. Zum einen besucht mich Daniela und zum anderen werde ich heute die 500 km Marke erreichen. Die Kilometer purzeln nur so und schon bald stehe ich auf einem unscheinbaren Waldweg. Das waren jetzt also die ersten 500 km. Ich bin noch nie in meinem Leben so weit gelaufen und bin überrascht wie schnell und problemlos ich diese erste Etappe bewältigen konnte.
Dennoch liegt noch eine gewaltige Strecke vor mir. 4700 km! Aber man sagt die ersten Kilometer wären die Schwersten.
Meine Freundin ruft an und wir treffen uns wenig später auf dem nächsten Wandererparkplatz. Daniela ist voll bepackt mit Verpflegung. Es gibt Lachsnudeln und Griespudding zur Feier des Tages.
Zusammen wandern wir gemütlich durch die sich nun wieder mehr und mehr öffnende fränkische Schweiz. Nach den engen Tälern gibt es nun den ein oder anderen Ausblick zu erhaschen. Wir machen einer weitere langen Pause und verabschieden uns anschließend das nun schon dritte Mal. Mit schwerem Herzen laufe ich bis spät am Abend bevor ich mir einen Zeltplatz suche.