Demut

13. - 19. Mai, E6 Niedersachen, Schleswig-Holstein

Den Ruhetag verbringe ich pendelnd zwischen Couch und Küche. Am Vortag habe ich sogar frische Lebensmittel gekauft und bringe so ein bisschen Abwechslung in meine Diät aus Schokoriegeln und Tütensuppe. Die Gastgeber ergänzen mein Verpflegung mit frischen Eiern. In diesem Sinne ist der Tag einer der kulinarischen Highlights der Tour.
Aus Zipbeuteln mit Wasser improvisiere ich Kühlpads und lagere mein Bein hoch. Die Schwellung lässt nach und gleichzeitig bessert sich auch meine Laune. Ich blättere in Harpe Kerkelings „Ich bin dann mal weg“ welches ich zufällig im Bücherregal finde. Zumindest die Schmerzen, mit denen Harpe Kerkeling zu kämpfen hat, kann ich im Moment nachempfinden. Kurz überlege ich noch ein paar weitere Tage hierzubleiben, entscheide mich dann aber aufgrund von mangelndem Proviant dagegen. Der nächste Supermarkt ist zu weit entfernt.

Am Morgen habe ich kaum noch Schmerzen. Ich verabschiede mich und folge dem Deich in Richtung Lauenburg. Nach einer halben Stunde sind die Schmerzen zurück. Mein Schienbein fühlt sich an wie ein Schraubstock, der bei jedem Schritt mein Schienbein zerquetscht.
Zwei Tabletten machen die Schmerzen erträglich. In Lauenburg überquere ich die Grenze nach Schleswig-Holstein. Überall in der historischen Altstadt sind die Biergärten gefüllt. Es scheint als ob die Normalität langsam wieder in den Alltag zurückkehrt. Leider kann ich mich daran wegen der Schmerzen und den Sorgen um meine Tour nur wenig erfreuen.
Ich kaufe Ibuprofen und Mittagessen. Beim Supermarkt begrüßt mich ein, naja, ich würde sagen Landstreicher mit den Worten „Hey, ein anderer Trecker“. Er erzählt mir wilde Geschichten, er hätte den BMW Compact erfunden, hätte Millionen verdient und wäre schon durch die ganze Welt gewandert. Jetzt möchte er sich aber ein Haus bauen. Außerdem arbeite er mit der Kriminalpolizei zusammen und man müsse immer drei Schritte Abstand halten damit sich der Gesprächspartner sicher fühlt. Selber bricht er diese Regel immer wieder. Die leeren Weinflaschen neben seinem Lager auf dem Supermarktparkplatz lassen mich an seinen Geschichten zweifeln. Ich stehle mich aus der Affäre indem ich meinen Hunger bekunde. Als ich den Supermarkt wieder verlasse schläft mein Kollege friedlich unter einem Baum und ich kann mich ungesehen aus dem Staub machen.
Auf dem Weg aus Lauenburg werden die Schmerzen immer schlimmer. Ich bewege mich nun nur noch im Schneckentempo. Ein Gewitter lässt mich Schutz im Wald suchen. Notdürftig bastel ich mir einen Wetterschutz aus meiner Isomatte und sitze den Wolkenbruch aus.
Für die folgenden fünf Kilometer benötige ich fast zwei Stunden bevor ein kleines Waldstück erreiche, in welchem ich mein Zelt aufschlage. Vor Schmerzen habe ich Tränen in den Augen. Meine Laune ist im Keller. Wenige Tage bevor ich den Deutschlandabschnitt meiner Route beenden kann verletze ich mich plötzlich. Bisweilen fühlte ich mich unbesiegbar und jetzt werde ich unvermittelt außer Gefecht gesetzt. Ich hadere mit meinem Schicksal und versinke in Selbstmitleid.

Grübelnd verbringe ich die Nacht und kann kaum schlafen. Schließlich entschiede ich mich für eine längere Auszeit. Da mich meine Freundin in einer Woche besuchen kommt, macht es keinen Sinn die Bahn nach Hause zu nehmen und so buche ich ein Hotelzimmer in der Nähe von Apotheke und Supermarkt. Am Morgen schleppe ich mich die verbleibende Strecke zu meiner Unterkunft. Hier möchte ich die nächsten fünf Tage verbringen um mein Bein zu schonen. Kurz vor Sonnenuntergang muntert mich ein wunderschöner Regenbogen auf, den ich aus dem Hotelzimmerfenster bewundere. Vielleicht soll das ein Zeichen sein.

Nach einem weiteren Tag im Hotelzimmer kreisen meine Gedanken ununterbrochen um die Verletzung. Die Online Recherche führt zu einer kleinen Panikattacke und meine Gedanken skizzieren verschiedene Horrorszenarien. Ich befürchte ich hätte mir einen Ermüdungsbruch zugezogen und müsse die komplette Tour abbrechen. Um Gewissheit zu haben mache ich schlussendlich einen Termin beim Orthopäden.

Die Diagnose lautet eine Reizung der Sehnen zwischen Fussspann und Schienbein. Das Röntgenbild zeigt keinen Bruch. Ich bekomme eine Bandage und Schmerzmittel verschrieben. Der Arzt ist sich sicher ich könne die Tour bald fortsetzen. Ich bin erleichtert. Wohl oder übel muss ich nun einfach abwarten.

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