Fjäll

6. - 17. Juli, Berglagsleden, E1, Vasaloppsleden

In Nora habe ich ein Apartment für zwei Übernachtungen gebucht. Es sind Ferien in Schweden und alle anderen Unterkünfte sind bereits ausgebucht. Peter, der Gastgeber und ehemaliger Leichtathlet empfängt mich vor den Hallen seines neuen Fitnessstudios. Derzeit bedarf es noch an einiger Fantasie um sich die zukünftige Trainingsstätte vorzustellen. Er ist kurz angebunden und führt mich in das Nebengebäude. Das Apartment ist groß und teuer, dafür aber gut ausgestattet und es gibt eine neue Waschmaschine im kürzlich überfluteten Keller. Sogleich arbeite ich meine To-do Liste ab. Wäsche waschen, Duschen, Einkaufen, Dehnen, Rumliegen. Abends ist es stickig heiß und das Fenster im Schlafzimmer lässt sich nicht öffnen. Kurz nach Mitternacht ziehe ich in das Wohnzimmer um. Dort lässt sich das Fenster zumindest öffnen. Der kühle Durchzug ist erfrischend, doch die Luft riecht unangenehm nach Abwasser. Ich führe das auf den überfluteten Keller zurück und während ich noch darüber nachdenke schlafe ich schließlich ein.

Beim Frühstück muss ich mit Schrecken feststellen dass ich den Holztisch in der Küche beschädigt habe. Ohne darüber nachzudenken hatte ich am Vorabend die Gaskartusche auf die Tisch gestellt und über Nacht haben sich die Rostränder in die Holzplatte gefressen. Ich rufe Peter an und wenig später begutachtet er den Schaden. Als Handwerker kann er die Platte selber abschleifen und wir einigen uns auf 40 € Aufwandsentschädigungen.

Am Nachmittag schlendere ich durch den Ort und setze mich in ein Kaffee. Dort schreibe ich am Blog und unterhalte mich lange mit der freudestrahlenden Besitzerin. Ihr fröhlicher Charakter ist ansteckend und als das Kaffee schließlich schließt, mache ich mich gut gelaunt auf den Weg zurück in die Ferienwohnung.

Diesmal schlafe ich gleich im Wohnzimmer. Entweder ich habe mich bereits an den Geruch gewöhnt oder er hat nachgelassen. Jedenfalls schlafe ich wunderbar auf der Ausziehcouch. Am späten Vormittag verabschiede ich mich von Peter, er möchte unbedingt noch ein Foto von mir vor dem Apartmenthaus machen, und laufe dann zurück auf den Trail.

Frisch und munter liegen bald schon 20 km hinter mir. Im Restaurant eines Campingplatzes mache ich eine ausgiebige Pause mit Kaffee und Kuchen. (Kaffee gibt es in Schweden meist so viel wie man trinken kann.)

Ein paar Kilometer weiter treffe ich auf Lasse, der den Berglagsleden in umgekehrte Richtung läuft. Er erzählt mir dass er Jesper und Marcus getroffen hat, sonst aber keine anderen Wanderer. Außerdem erzählt er mir von den Wölfen in der Gegend und dass man deren Exkremente an den Knochensplittern im Kot erkennen könnte. Mit dieser neuen Erkenntnis verabschiede ich mich und suche den restlichen Tag mit konzentriertem Blick nach besagten Wolfsspuren. Der Trail führt nun immer wieder durch Kahlschlagsgebiete, die der Forstwirtschaft zu Opfer fielen. Während Lasse meinte dass die zunehmend aggressive Forstwirtschaft gerade ein großes Thema in Schweden ist, freue ich mich über die gelegentlichen Ausblicke im abendlichen Sonnenschein.

Als ich einen malerischen See erreiche entscheide ich mich mein Lager aufzuschlagen. Tatsächlich bin ich diesmal nicht alleine. Ich begrüße zwei schwedische Wanderinnen und eine große Reisegruppe aus Dänemark, die auf der Feuerstelle vor der Windschutzhütte den Grill in Betrieb genommen hat. Ein bisschen abseits stelle ich mein Zelt auf und geselle mich dann zum Abendessen zu ihnen. Als ich gerade meine Fertigsuppe kochen möchte fragen mich die Dänen ob ich nicht mit ihnen zu Abend essen möchte. Natürlich nehme ich das Angebot dankend an. Sie meine sie hätten viel zu viel Salat und Salsiccia, unterschätzen aber meinen Hikerhunger. Bald bin ich der einzige der noch isst und tatsächlich bleibt am Ende nichts mehr übrig. Wir unterhalten uns bis die Sonne untergeht und als die Knotts zu lästig werden, verabschieden sich die Dänen in Richtung ihres Sommerhaus.

Der nächste Tag verläuft ereignislos und ist landschaftlich eher langweilig. Mit Tunnelblick folge ich den überwachsenen Pfaden und höre Podcast. Gegen Abend mache ich einen Abstecher nach Koppaberg und esse dort zu Abend. Als ich mich zu den letzten Kilometern aufmache fängt es an zu regnen. Tief im Wald schlage ich mein Zelt auf. Die Knotts, die sich zuletzt zurückgehalten haben, sind in alter Stärke zurück und belagern mein Zelt.

Nachts regnet es und auch am Morgen ist noch alles nass. In der Gesellschaft der Knotts baue ich mein Zelt ab und folge dem sumpfigen Waldpfad. Die Kombination aus matschigem Untergrund und zugewachsenen Wegen lässt mich nur langsam vorankommen.

Schließlich erreiche ich das Ende des Berglagsleden in Kloten. In einem Laden für Outdooraktivitäten bekomme ich einen Kaffee. Ich unterhalte mich mit dem deutschen Praktikanten (warum auch immer auf Englisch) über Ausrüstung und das Wandern. Es stellt sich heraus dass auch er aus der IT kommt und nun zum Outdoorguide umschult. Wir wünschen uns viel Erfolg in der Erfüllung unseres Klischees und aufgewärmt und ein bisschen trockener stapfe ich zurück in den Wald. Sofort bin ich wieder pitschnass. Da ich am Abend in einem Hostel in Smedjebacken übernachten möchte, gebe ich klein bei und entscheide mich für die parallel verlaufende Forststraße. Trotzdem habe ich viel Zeit verloren und erreiche den Ort erst abends. Die Supermärkte haben schon geschlossen und so esse ich meine, ich weiß nicht wievielte, Pizza in Schweden.

In dem urigen Hostel in Smedjebacken beziehe ich ein kleines Einzelzimmer und will schon schlafen gehen, als mich schwedische Radreisende auf einen Wein einladen. Wir sitzen auf den Balkon und ich erzähle routiniert von meiner Wanderung. Da mir aber fast die Augen zufallen verabschiede ich mich wenig später in mein Bett.

Am Morgen habe ich ein Problem. Mein iPhone lädt nicht mehr. Nachdem ich bei den Gastgebern mein Handy laden kann führe ich den Defekt auf das Kabel zurück. Den ganzen Vormittag klappere ich auf der Suche nach einem neuen Kabel jeden Supermarkt und jede Tankstelle im Ort ab. In einer Tankstelle werde ich zuletzt fündig und spare mir so die 25 km Umweg zum nächsten Elektronikfachmarkt.

Trotzdem kostet mich diese Odyssee sieben Kilometer bevor ich mich endlich wieder auf den Weg mache. Es geht weiter auf einem Pilgerweg. Breite Forststraßen durch gleichförmige, landwirtschaftlich geprägte Landschaft lassen mich flott vorankommen. Ich kreuze eine Fernstraße und krieche unter einem Eisentor hindurch. Der GPS Track sagt mir ich muss hier lang. Abends wandere ich entlang eines Sees und frage eine Anwohnerin nach einem Platz zum Zelten. Sie empfiehlt mir eine Badewiese. Die 3 km Umweg sind mir zu viel, ich habe ja bereits den Vormittag mit sinnlosen Kilometern verschwendet. Also frage ich einen Fischer an einer Anlegestelle ob es sich um Privatgelände handelt. Es ist öffentlich und nach dem schwedischen Jedermannsrecht darf ich hier mein Zelt aufschlagen. Er schenkt mir frisch filetierten und bereits eingelegten Barsch. Während er Boot und Ausrüstung zusammenpackt, rätsele ich wie ich den Fisch wohl am besten zubereite. Ich muss ein hoffnungsloses Bild abgeben wie ich meinen kleinen Gaskocher auspacke und mir eine Fischsuppe kochen möchte, als er mich fragt ob wir nicht gemeinsam zu Abend essen wollen. Er stellt sich als André vor und hat das Wochenende auf eine Insel mit Freunden und Fischen verbracht. Entsprechend gut ist er ausgestattet. Mit Pfanne und großem Kocher braten wir den Fisch in Olivenöl. Dazu gibt es Käse und Brot aus meinem Proviantbeutel. So einfach die Mahlzeit ist, so genieße ich sie dennoch aus vollen Zügen, nicht zuletzt aufgrund der Gesellschaft und der stillen Szenerie am See. Wir sitzen lange zusammen. Sympathie und gemeinsames Interessen lassen den Abend viel zu schnell vergehen.

Am nächsten Morgen führt mich mein Weg runter von der Straße und irgendwann stehe ich mitten im Wald ohne erkennbaren Pfad. Ich schlage mich durch das dichte sumpfige Dickicht und kreuze schließlich doch noch einen Weg. Die Landschaft gefällt mir. Schattiger Wald, wenig Mücken und ich komme gut voran. Im Hinterkopf habe ich aber die Warnung von André ich würde durch ein unwegsames Moor wanden müssen. Als ich den Gyllbergen Nationalpark erreiche ist der Weg zunächst mit Holzplanken ausgelegt. Diese werden aber immer weniger und ich sinke im sumpfigen Grasmatsch oft bis zum Knöchel ein. Aus Sorge meine Schuhe im Morast zu verlieren, schnüre ich sie enger. Gottseidank, denn kurz darauf sinke ich bis zur Hüfte im Schlamm ein. Insgesamt verbringe ich fast den halben Tag im Sumpf. Müde vom ständigen Stapfen komme ich wieder auf wegsameres Gelände. In Mockfjärd esse ich bei einem Griechen zu Abend. Die gemischte Grill Platte stellt sich aber als Dönerteller mit Pute und Schwein heraus und schmeckt nach nichts. Meinen Magen füllt sie dennoch und als auch das Handy geladen ist breche ich wieder auf.

Während die Sonne gemächlich in Richtung Horizont wandert, erreiche ich eine historische Siedlung aus dem 16. Jahrhundert. Keines der historischen Sommerhäuser sieht bewohnt aus, also schlage ich mein Zelt in der frisch gemähten Wiese beim Aussichtspunkt auf.

Am nächsten Morgen bin in ich platt, alles ist steif und mein Kopf ist leer. Müde stapfe ich los. Meine Schuhe sind sofort wieder nass. Nach 10 km mache ich die erste Pause und ohne darüber nachzudenken verspeise ich nahezu meine ganze Tagesration. Das wird ein langer Tag. Nach weiteren 10 km mache ich Mittag an einem See. Ich gehe schwimmen und esse die kläglichen Reste meines Proviants. Ein Powernap gibt mir wieder Energie. Trotzdem steht mir ein zäher Aufstieg bevor. Ich komme an einer schönen Hütte vorbei in der ein Radreisender seine unzähligen Taschen ausgeleert hat. Mich überrascht immer wieder was die Leute so alles mit auf Tour schleppen. Wir unterhalten uns kurz, da es aber noch zu früh am Tag ist, laufe ich weiter. Es wird Abend und die Mücken kommen. Ich schlüpfe in Windhose und ziehe das Mückennetz über den Kopf. Am nächsten See möchte ich übernachten. Dort begrüße ich zwei Österreicher, die den E1 von Grövelsjön nach Flensburg laufen. Sie ist freundlich. Er ist ein bisschen grantig. Ihm gefalle Schweden nicht, die Hütten in Norwegen seien viel besser. Man kann doch nicht mit Turnschuhen wandern, da bekommt man ja nasse Füße. Sie hätten jeweils drei Paar Schuhe dabei. Für das Wandern, das Lagern und Neoprenschuhe für die Sümpfe. Ich erzähle dass sie die auf jeden Fall brauchen werden. Pünktlich um 21 Uhr verabschieden sich die Beiden in ihr Zelt. Ich tue es ihnen gleich und als ich morgens aufwache sind sie bereits aufgebrochen..

Heute ist Tag Sieben ohne Pause. Bis zum Fjell sind es noch drei Tage, bis zum nächsten Pausentag vier Tage. Ich entscheide mich aufgrund des angekündigten Gewitters für einen Hostel in Mora. Ich merke dass ich eine Pause brauche aber ich will unbedingt zuvor ins Fjell. Also pushe ich mich die ersten 10 km auf die erste Anhöhe zu einem Café. Die Kombination aus Koffein und elektronischer Musik lässt mich die nächsten 20 km ohne Pause zurücklegen. Eine kurze Essenspause mache ich beim Supermarkt und laufe dann die letzten 10 km bis zum Vandrarhem. Wäsche waschen, Duschen, Kochen, Loki auf Disney+ und Schlafen.

Es sind nur noch drei Tage bis zum Fjell. Von Mora bis Sälen verläuft der Vasaloppsleden, entlang der berühmten Langlaufstrecke, landschaftlich aber langweilig. Der Verlauf erinnert mich ein bisschen an den Rennsteig. Es gibt eine Straße, einen Weg für Radfahrer und einen für Fußgänger. Alle laufen mehr oder weniger parallel, schneiden sich oder vereinen sich für kurze Zeit. Das Tolle am Vasaloppsleden sind aber die Hütten in denen man für 4 € übernachten kann. Nach dem langweiligen Tag freue ich mich auf die Hütte und gehe früh schlafen.

Es sind mur noch zwei Tage bis zum Fjäll. Der Tag ist eintönig. Ich höre durchgehend Hörbuch und Musik. Immer wieder weiche ich auf den Radweg aus, da der Wanderweg von den Gewitter überflutet ist. Abends schlafe ich wieder in einer Hütte.

Heute ist es soweit. Gegen Abend sollte ich den Södra Kungsleden und damit die ersten Berge erreichen. Am Mittag bin ich in Sälen. Die Auswahl an Restaurants ist mal wieder überschaubar. Pizza oder Burger. Ich entscheide mich für Burger. Eine schlechte Wahl. Bei der PostNord Filale im Ort schicke ich Ausrüstung nach Hause. Meinen Kocher (Ich esse von nun an kalt), Powerbank, Stecker und Kabel (ich habe mir eine Powerbank mit größerer Kapazität in die nächste Unterkunft geschickt) und meinen Wasserfilter (den brauche ich im Fjäll nicht mehr). Anschließend mache ich mich an die 800 Meter Aufstieg in das Fjäll. Im letzten Supermarkt vor dem Portal zum Södra Kungsleden kaufe ich für die nächsten fünf Tage ein. Ich habe nur noch zwanzig Minuten bis Ladenschluss und muss dringend auf die Toilette. Unüberlegt und gehetzt kaufe viel zu viel und bekomme den Proviant gerade so im Rucksack unter. Mit schwerem Rucksack passiere ich das Portal zum Södra Kungsleden.

Ich bin überwältigt. Im Abendlicht erstreckt sich die Aussicht auf unendliche Weite. Die szenische Landschaft reißt mich aus dem gleichmütigen Stoizismus der letzten Tage und lässt mich träumen von den nächsten 2000 km. Ganz nebenbei habe ich nämlich heute die 3000 km Marke erreicht.

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