Halbzeit

28. Juni - 6. Juli, Södra Vätterleden, Berlagsleden

Im Vandrarhem in Hjo buche ich ein Zimmer für zwei Nächte. Kurz zuvor habe ich mich beim schwedischen Tourismus Verein (STF) angemeldet und bekomme 10 € Rabatt. Dieser wird sogleich in Bettwäsche und ein Handtuch investiert. In den vom STF betriebenen Hostels kostet das nämlich extra. Dafür gibt es eine große Küche zur freien Benutzung und viel schwedischen Flair. Das alte Holzhaus ist liebevoll restauriert und liegt malerisch, direkt am Vätternsee, mit Restaurants und Supermärkten in unmittelbarer Nähe.
So erschöpft wie ich an diesem Abend bin, gehe ich aber nur zum Schnellimbiss um die Ecke bevor ich mich in mein Zimmer zurückziehe.

Am nächsten Tag schlafe ich bis mittags und gehe einkaufen. Ich verbringe den Nachmittag im großen urigen Gemeinschaftsraum des Hostels und schreibe am Blog. Dann koche ich frisch zu Mittag und gehe pünktlich um 18 Uhr für das Deutschlandspiel in den Biergarten nebenan. Gemütlich trinke ich Bier und bestelle mir schließlich noch Sparerips. Mein Budget habe ich deutlich nach oben geschraubt. In Deutschland bin ich mit 500€ gut klargekommen. Das lag aber auch am Lockdown, sodass ich mich nur in Supermärkten verpflegen konnte. Nun genieße ich viel öfter die Restaurants und den Luxus von Dusche und einem echten Bett. Deutschland verliert das Spiel. Pünktlich zum Schwedenspiel schließt das Restaurant. Der Besitzer, ein junger kräftiger Schwede, erklärt mir die Rechte für die Übertragung der Europameisterschaft kosteten ihn 10000 €. Mir ist das ganz recht schließlich ist es schon halb neun und kurz vor Hiker Midnight. Ich erfahre erst am nächsten Morgen dass auch Schweden das Spiel verliert.

Am nächsten Morgen verabschieden ich mich von Lotta, der guten Fee des Vandrarhems, und ziehe weiter gen Norden. Es ist bewölkt und angenehm kühl. Schnell komme ich voran. Der Wald öffnet sich und ich bemerke ein großes Pferd dass mich vom Feld aus anstarrt. Ich bewundere den muskulösen Ackergaul, bis ich ihn als Elch identifiziere. Wir beide begutachten uns eine ganze Weile bis das Interesse abklingt und sich der Elch in das Dickicht zurückzieht.

Ich fühle mich beschwingt von der Begegnung. Durch die Ruhepause hat sich auch meine Fußsohle beruhigt. Zwar kann ich die Schmerzen mit regelmässigen Massagen und Dehnübungen unter Kontrolle halten aber gegen Ende der letzten Wanderwoche wurden sie doch immer schlimmer. Ich hasse es wenn mein Körper nicht so funktioniert wie ich will und mich belasten die Aussichten dass mich die Schmerzen bis zum Ende der Tour begleiten könnten. An solchen Gedanken kann ich mich regelrecht festfressen und bin dann stundenlang mit mir und meinem Selbstmitleid beschäftigt. Wenn mich dann noch schlechtes Wetter oder Mücken nerven versinke ich manchmal in eine kleine Depression. Nur die Erfahrung, dass die Schmerzen wie immer vorbeigehen, und die Aussicht auf die nächste besondere Begegnung halten mich dann wie ein Leuchtturm über Wasser. Heute aber merke ich die Fußsohle aber kaum und ich bin geradezu euphorisiert. Allgemein nehme ich Emotionen auf der Tour viel intensiver wahr, so als ob der Schleier des Alltagstrott sie ansonsten dämpfen würde. Mit dieser guter Laune liegt die Tagesetappe bald hinter mir.

Am Abend bin ich bei Monalie und Lars zu Gast, Trail Angels der Via Suecia. Hier sollten auch neue Schuhe auf mich warten.
Monalie kommt mir freudestrahlend in Begleitung ihrer Hunde entgegen. Die Mürrische Hundedame Lexi knurrt mich zwar an, dafür begrüßt mich der Schäferhundwelpe Nisse umso stürmischer. Als wir das Haus erreichen lerne ich auch Lars kennen. Ein paar Tage zuvor hat der Rasenmäher mit einem Stein sein Schienbein zertrümmert und nun muss er die nächsten Wochen auf Krücken laufen. Die Verletzung macht ihm sichtbar zu Schaffen und ich fühle mir ihm. Zum Abendessen gibt es eine rustikale Brotzeit und Lars erzählt viel über die Gegend. Er ist in Karlsborg aufgewachsen und ein echter Lokalpatriot. Ich muss unbedingt die Festung in Karlsborg besichtigen und überhaupt sei Karslborg viel schöner als Hjo. Abends beziehe ich zum Schlafen das Gartenhaus. Eine Fliege hat es auf mich abgesehen und wandert zwischen meiner Glatze und Nase hin und her. Irgendwann finden wir beide eine bequeme Schlafposition und ich falle in friedlicher Koexistenz in einen traumlosen Schlaf.

Am nächsten Morgen gibt es wieder Brotzeit und viel Kaffee. Monalie spielt ihre Beziehungen als Briefträgerin aus und versichert mir dass mein Paket bis Mittags zugestellt wird. Um die Zeit zu vertreiben begleite ich Lars zum Wertstoffhof. Lars nutzt die Gelengenheit und zeigt mir Karlsborg. Er ist ein wandelndes Militärlexikon und erzählt mir viel von der Gesichichte des Ortes. Die riesige Festung wurde 60 Jahre lang konstruiert und war nach Fertigstellung aufgrund des Fortschritts in der Militärtechnik bereits veraltet. Dennoch sorgen die in der Festung stationierten Soldaten für den Wohlstand von Karlsborg.

Als wir zurückkommen ist mein Paket angekommen. Ich möchte noch ein bisschen Strecke zurücklegen und so verabschiede ich mich. Bei leichtem Nieselregen führt mich der Trail vorbei an alten Bunkeranlagen nach Forsvik. Hier übernachte ich auf Empfehlung von Michael-wandert im heimeligen Vandrarhem.

Das ist nun die vierte Nacht unter einem festen Dacht und langsam vermisse ich mein Zelt. Am nächsten Morgen besichtige die alte Industrieanlage und breche erst recht spät auf. Obwohl es eigentlich egal ist - die Sommertage in Schweden sind lang genug - fühle ich mich oft gehetzt wenn ich zu spät aufbreche. Am liebsten ist es mir wenn ich Mittags bereits die Hälfte der Strecke hinter mir habe.

Der Trail ist überwuchert und ich komme nur langsam voran. Bald bin ich durchgeschwitzt. Wegen der Mücken, die mich den ganzen Tag eskortieren, trage ich Windhose, Buff, und Mückennetz über den Kopf. Gegen Mittag werfe ich den letzten Blick auf den Vätternsee, den ich nun hinter mir lassen werde. Zehn Kilometer später erreiche ich den Berglagsleden.

Nach den einsamen Wegen im Süden Schwedens sollte ich hier nun auf mehr Wanderer treffen. Auf Instagram verfolge ich wie Jesper und Marcus in unerreichbare Ferne verschwinden. Mit Tagesettapen von um die 40 km hatte ich noch die Hoffnung aufschließen zu können. Nun sehe ich sie Etappen von 50 km und zuletzt 80 km zurücklegen. Irgendwie bin ich auch erleichtert und ich stelle fest dass ich wohl versucht habe mich mit ihnen zu messen. Nun, da ich mich damit abgefunden habe sie nicht einzuholen, kann ich wieder beruhigt mein eigenes Tempo laufen.

Am Abend durchquere ich Tiveden, den Trollwald. Zwar treffe ich keine Trolle, aber am nächsten Lagerplatz begrüßen mich drei Schweden am Lagerfeuer. Ich freue mich über die Begegnung und sie laden mich ein mich zu ihnen zu setzen. Einer ist Soldat und in der Kaserne in Karlsborg stationiert. Ich bekomme Militärnahrung geschenkt und da sie es nicht fassen können, dass ich das erste mal in Schweden am Lagerfeuer sitze, drücken sie mir einen großen Beutel Anzünder in die Hand. In Gedanken schätze ich das zusätzliche Gewicht ab und ergänze meine Packliste. Wir sitzen lange am Feuer während uns die Knotts (Schwedisch für Minimücken) die Köpfe zerstechen. Irgendwann verabschiede ich mich in mein Zelt. Als die Drei kurze Zeit später zu singen beginnen sinke ich in einen tiefen erholsamen Schlaf.

Am Morgen liegen die Drei noch in dem großen Militärzelt. Ich breche schnell auf. Die Knotts lassen mir keine andere Wahl. Eine Stunde später gelange ich nach Tivestorp. In dem kleinen Hostel mitten im Wald bestelle ich Kaffee und werde mit den Worten “Good to see the Germans back!” begrüßt. Das ist wohl das erste mal dass ich das höre. Ich sitze lange in dem gemütlichen Garten und lausche dem Gitarrenspiel des einzigen anderen Gastes.

Als ich wieder aufbreche falle ich in einen angenehmen Trott. In einer Schutzhütte spende ich die Feueranzünder an einen zukünftigen Bedürftigen. Gegen Abend tue ich mich schwer mit der Suche nach einem Schlafplatz. Zunächst folge ich einem Wirtschaftsweg an einen See. Dieser ist allerdings so eingewachsen dass ich nirgendwo mein Trinkwasser auffüllen kann. Also mache ich kehrt und folge weiter dem Trail. Der Weg führt mich an einem Rastplatz, welcher aber an einer Fernstraße liegt. Dort kann ich zwar das Trinkwasser auffüllen, aber an der Fernstraße möchte ich ungern übernachten. Kurz drauf erreiche ich eine Klosterruine. Auf dem frisch gemähten Rasen am See stehen bereits ein paar Zelte und so stelle ich auch meines etwas Abseits mit direktem Seeblick auf. Nach dem langen Tag genieße ich den idyllischen Abend. Es weht ein angenehmer Wind der die Mücken vertreibt. Ich gehe schwimmen, esse entspannt zu Abend und bewundere das Farbenspiel des Sonnenuntergangs.

Am Morgen bin ich früh auf den Beinen. Ich muss auf einem Umweg in den nächsten Ort zum Einkaufen. Danach folge ich einer Straße zurück auf den Trail. Da ich bis Mittags bereits 22 km zurückgelegt habe, mache ich einen langen Mittagsschlaf.

Am Nachmittag wird es hügelig und schweißtreibend. Die Mücken sind mein ständiger Begleiter und weil ich ihnen, wie ein Imker gekleidet, keine andere Wahl lasse, zerstechen sie mir meine Hände. Irgendwann resigniere ich und wünsche den Blutsaugern einen guten Appetit. Mein Ziel an diesem Abend ist ein See mit Badewiese. Hier sagt mir mein GPS Gerät dass ich nun die Hälfte der Strecke hinter mir habe. 2525 km von 5050 km. Ein älterer Herr muss sich meine stolze Geschichte anhören bis er sich schließlich höflich verabschiedet. Ich feiere die Halbzeit mit einer extra Portion Couscous und gehe lange schwimmen. Die Mücken trauen sich hier nicht auf das Wasser und ich kann gemütlich in der Sonne trocknen. Ein Handtuch habe ich aus Gewichtsgründen natürlich nicht dabei. Tatsächlich sind nun den zweiten Tag in Folge keine Knotts in der Luft. Ich halte das für ein gutes Zeichen für die nächste Hälfte meiner Tour.

Am nächsten Tag wird es regnerisch. Die Nässe kommt von allen Seiten. Ich stapfe durch Sumpf und der Weg ist oft von Sträuchern und hüfthohem Gras eingewachsen. In einem Ort möchte ich einkaufen. Als ich vor dem Supermarkt stehe hat dieser wegen einer Cyberattacke geschlossen. Ich habe noch eine Portion Müsli und zwei Tortillawraps. Das reicht auf keinen Fall für die nächsten 60 km. Also suche ich nach Restaurants in der Umgebung. Mal wieder finde ich nur eine Pizzeria. Eine Pizza esse ich vor Ort und eine Calzone bestelle ich zum mitnehmen. Mit vollem Magen lege ich noch 10 km zurück und schlage dann mein Zelt in einer Wolke aus Knotts auf. Ich hatte mich wohl zu früh gefreut.

Nachts regnet es. Die Knotts, die Obdach unter der Zeltplane gesucht haben, sind über Nacht im Kondenswasser ertrunken und sprenkeln nun die Apsiden. Ich packe also am Morgen den nassen Mückensarg zusammen und ziehe von dannen. Bevor ich das Zelt reinigen kann muss es erstmal trocknen.

Als ich meine letzten Tortillawraps verspeise, treffe ich die ersten anderen deutschen Wanderer und gleich eine ganze Familie. Selbst die 10 jährige Tochter schultert einen 12 Kilo schweren Rucksack. Ich bin beeindruckt, möchte aber nicht mit ihr tauschen. Wir unterhalten uns und mir fällt es mittlerweile schwer die deutschen Wörter für meine Schilderungen zu finden. Auf die Frage was mein Rucksack wiegt antworte ich 5 Punkt 5 Kilo. Ein Stück lang laufen wir zusammen. Bald lasse ich sie aber hinter mir zurück, wie auch sonst schon so viele Begegnungen vor ihnen.

Nach einer Weile bemerke ich dass mir mein kleinen Zeh wehtut. Die löchrigen Socken und die Nässe haben mir nun die erste Blase der Tour eingehandelt. Glücklicherweise habe ich an diesem Abend eine Unterkunft und ich freue mich auf den allwöchentlichen Ruhetag!

Diese Woche war anders. Ich war entspannter als sonst. Meine Füße scheinen sich langsam an die Belastung zu gewöhnen, besser spät als nie, und auch mental war ich nicht so gehetzt wie sonst. Die ständigen Begegnungen tuen mir gut, und geben mir zu denken. Ich freue mich auf die zweite Hälfte meiner Reise!

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