Midsommar

19. - 28. Juni, Bohusleden, Sjuhäradsleden, Västra Vätterleden

Ich checke in Mölndal, einem Vorort im Speckgürtel von Göteborg, ein. Das Hotel hat die besten Tage bereits hinter sich, macht jedoch einen gepflegten Eindruck. Das Personal ist freundlich. Ich bin nicht besonders anspruchsvoll nach einer Woche im Dreck und wie ich so an der Rezeption stehe, komme ich mir auch ein wenig verwahrlost vor. Online habe ich gesehen dass es Einzelzimmer mit Badewanne gibt. Das möchte ich ausnutzen und ernte auf meine Nachfrage einen irritierten Blick. Als ich das Zimmer beziehe wird mit klar wieso. Das Hotel wird nach und nach modernisiert und die Zimmer mit Badewanne sind wohl die Überbleibsel aus dem letzten halben Jahrhundert. Ausgestattet mit einem mondänen muffigen Teppichboden und einer Badewanne, in die ich nicht einmal zur Häfte hineinpasse. Dennoch, das Zimmer ist sauber, im Gegensatz zu mir, und so sammle ich meine Klamotten, schlüpfe in Windhose und Regenjacke und nehme den Wäscheservice in Anspruch.

Im Frühstückssaal gibt es tagsüber Cookies und Kaffee für Lau und so belade ich einen Teller mit Gebäck und ziehe mich in mein Hotelzimmer zurück. Während die Wäsche wäscht, wasche auch ich mich und entferne ein paar Zecken. Es ist noch früher Nachmittag, das heißt meine Wäsche kann sogar noch etwas trocknen, bevor ich mit klammen Klamotten den Vorort erkunde.
Ich finde Einkaufsstraßen und ein Shoppingcenter mit einer riesigen Sportsbar.

Die Europameisterschaft wird übertragen. Deutschland spielt gegen Portugal. Ole Ole. Ein Tisch weiter singt ein Schwede die erste Strophe der deutschen Nationalhymne. Ich kann mich weniger für das Spiel begeistern und beschäftige mich mehr mit meinem XXL Sandwich. Kurz vor Abpfiff verabschiede ich mich in Richtung Hotel und gehe schlafen.
Das Frühstücksbüffet ist toll. Ich esse Lachsbrötchen, Müsli mit Obst und trinke Unmengen an Kaffee. Daraufhin ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und schreibe am Blog. Mein Versorgungspaket aus Deutschland wurde am vorherigen Abend nicht mehr zugestellt und so hatte ich die Lieferung in einen Paketshop gebucht. Ich stelle fest dass PostNord, der regionale Versanddienstleister, am Wochenende nicht zustellt. Das Verteilerzentrum hat am Wochenende auch geschlossen. Das heißt ich werde wohl einen Tag länger als geplant im Hotel verbringen. Ich schreibe mit Simon, der dieses Jahr auch das sogenannte Green Ribbon, 1400 km durch das schwedische Fjell, wandern möchte. Zufällig arbeitet er in einem Outdoor Geschäft in Göteborg und so verabreden wir uns für den folgenden Tag. Am Abend gehe ich wieder in die Sportsbar. Diesmal esse ich Burger.

Am nächsten Tag nehme ich den Bus nach Göteborg und besuche Simon. Er macht mir einen Kaffee und wir unterhalten uns über das Green Ribbon. Simon versucht dieses Jahr einen Fastest Known Time (FKT) Rekord aufzustellen. Er peilt eine Zeit von 20 Tagen für die 1400 km an. Das bedeutet 70 km pro Tag. Ich bin beeindruckt und ein bisschen skeptisch. Durch das Training trägt Simon bereits eine Kniebandage. Im Geschäft ist einiges los, viele Schweden entdecken dieser Tage, da das Reisen durch Corona nur eingeschränkt möglich ist, den Outdoor Sport für sich. Da sich Simon um die Kunden kümmern muss wünsche ich ihm alles Gute und verabschiede mich. Ich schlendere durch die Innenstadt und werde der vielen Leute bald überdrüssig. In einer Seitenstraße lasse ich mir den Bart schneiden und die Glatze rasieren. Es ist Nachmittag und der Paketstatus ist noch immer nicht in Zustellung. Kurzentschlossen nehme ich den Bus zum Verteilerzentrum. Tatsächlich bekomme ich dort mein Paket ausgehändigt und bin erleichtert. Im Paket ist meine neue Isomatte, Eiweispulver, ein neues Yo-Yo, ein Rucksack Liner, eine Schlafmaske (Ich kann bei Helligkeit schlecht schlafen) und viel Schokolade. Außerdem ein rührender Brief von Daniela. Am Abend gehe ich wieder zum Essen in die Sportsbar.

Nach einem ausgiebigen Frühstück lasse ich Mölndal hinter mir. Zunächst führt der Trail auf dem Bohusleden durch ein ausgedehntes Naherholungsgebiet mit vielen Seen und Sportplätzen. Mich überholen Pedelecs im Minuten Takt bis ich schließlich den Sjuhäradsleden, ein Teilstück des E1, erreiche. An einer malerisch gelegenen Windschutzhütte esse ich zu Abend.

Es ist windig und die Mücken verstecken sich. Ich beschließe, das erste mal in einer Windschutzhütte zu schlafen, eine meiner schlechteren Entscheidungen. Denn als ich mich zum Schlafen lege, erwachen ihrerseits die Mücken. Ich ziehe mir das Mückennetz über den Kopf, doch die Mücken stechen einfach durch das Netz. Wohl oder übel fliehe ich in mein Zelt, das ich laut fluchend neben der Hütte aufbaue. Trotzdem schlafe ich wie ein Baby auf meiner neuen Luftmatratze.

Der nächste Tag ist anstrengend. Es ist sehr heiß und der Trail ist unerwartet steil. Man merkt dass die Gegend um Göteborg wohl einer der bevölkerungsreicheren Regionen ist. Das bedeutet kurze Abschnitte durch Wald wechseln sich ab mit Schotterstraßen durch Gehöfte und kleineren Ortschaften. Zum Abend esse ich Pizza und laufe noch zehn Kilometer weiter bevor ich mein Zelt neben einer schmutzigen Schutzhütte aufschlage.

Am nächsten Morgen komme ich schwer in die Gänge. Ich mache einen kleinen Umweg in einen Ort wo ich lange in einem Café sitze. Unmotiviert breche ich auf und verlaufe mich. Ich muss 15 Km auf Straße in der Mittagssonne zurücklegen bevor ich wieder auf den Wanderweg stoße. Ich nutze die Gelegenheit und spiele mit meinem neuen Yo-Yo. Am Abend laufe ich durch einen dichten Wald und entdecke einen wunderschönen Rastplatz. Hier ist auch das erste mal der E1 ausgeschildert. Das Gras ist frisch gemäht und eine liebevoll eingerichtete Hütte lädt zum verweilen ein. Sogar frische Blumen schmücken die urige Hütte aus dem 19. Jahrhundert.

Aufgrund der vielen Insektenkadaver, die im Wasserloch hinter dem Haus schwimmen, und meiner leeren Wasserflaschen laufe ich trotzdem weiter zum nächsten See. Dort frage ich nach Wasser und bekomme Orange und Müsliriegel geschenkt. Im Vorgarten steht bereits der Midsommar Baum. Ich erfahre dass wohl am kommenden Tag zum Midsommarfest ganz Schweden singt und tanzt.

Einen guten Lagerplatz finde ich an diesem Abend keinen und so muss ich auf unebenen Untergrund zelten. Sobald ich meine Rucksack absetze stehe ich in einer Wolke aus Mücken. Schnell verschwinde ich im Zelt. Um möglichst wenigen Mücken Einlass zu ermöglichen öffne ich das Mückennetz nur soweit, dass ein Arm durch das Loch passt und koche einhändig zu Abend. Wieder schlafe ich trotz des unebenen Untergrunds wie ein Baby auf meiner Luftmatratze.

Heute ist Midsommar. In allen Gärten sitzen Familien und grüßen den wehmütigen Wanderer, der mit müdem Schritt vorbei marschiert. Ich treffe eine Schwedin mit Hund. Sie spricht leider kein Englisch doch Google Translate überbrückt die Sprachbarriere. Sie erzählt dass ich wohl noch einen Ort erreiche in dem ein großes Fest gefeiert wird. Das macht mir Mut und bald erreiche ich einen See. Die Mücken halten sich zurück und ich wasche mir im See den Schweiß vom Körper. Die Stelle gefällt mir und so baue ich mein Zelt auf. Kurz drauf biegt ein Auto auf den Rastplatz ab. Ein Mann steigt aus und bietet mir direkt ein Bier an. Außerdem packt er noch lauwarme Burger von McDonald’s. Besser geht es nicht! Wir unterhalten uns und ich fühle mich wohl ob der unerwarteten Gesellschaft.

Auf einmal springt er auf und möchte mir die Gegend zeigen. Ich folge ihm den See entlang und wir gelangen zu einem historischen Landgut. Er erzählt dass es von einem Verein in mühevoller Handarbeit restauriert wird. Er ist sichtbar stolz auf dieses kleine Stück Geschichte. Ohne Corona würde hier auch ein großes Midsommarfest stattfinden. Stattdessen glüht der große hölzerne Pavillon einsam im warmen Abendlicht.
Als es kühler wird steigt Michael in sein Auto und wir verabschieden uns. Ich lege mich glücklich in mein Zelt und schlafe wie ein Stein.

Nach vier Tagen jenseits der 40 Kilometer habe ich mich zu einem halben Ruhetag entschlossen. Ich laufe hauptsächlich auf Straße und komme gut voran. In Mullsjö esse ich in einer Konditorei zu Mittag und beziehe ein wenig weiter ein gemütliches Zimmer. Ich wasche meine Wäsche und dehne mich ausgiebig, froh den Mücken an diesem Abend zu entfliehen.

Am nächsten Tag ändert sich die Landschaft und ich erreiche den Västra Vätterleden. Die zuvor dichten und hügeligen Nadelwäldern werden nun von einem lichten Kiefernwald abgelöst. Die erdigen Waldwege werden zu sandigen Pfaden. Ich streife unzählige Seen und treffe den ersten anderen Wanderer. Frederick erzählt mir dass einen Tag zuvor zwei andere Via Suecia Wanderer durch seinen Hof gekommen sind. Ich kenne die Beiden. Marcus und Jesper sind ein paar Tage nach mir in Smygehuk gestartet. Da meine Route über Göteborg aber 300 km länger ist sind sie nun einen Tag vor mir. Frederick findet toll was wir machen. Auch er möchte dieses Jahr den Kungsleden wandern, sogar zu der Zeit in der ich im Norden ankommen werde. Ich frage ihn ob die Mücken weniger werden. Er meint jetzt sei gerade die Hochsaison. Im Fjell geht es aber gerade erst los. Das heißt mich werden die Mücken bis ungefähr Mitte August in das Fjell begleiten. Mit den ersten kühlen Nächten werden die Mücken dann weniger. Mit diesen rosigen Aussichten verabschieden wir uns.

In einem Naturreservat möchte ich neben einer Windschutzhütte zelten. Davor sitzen mir aber zu viele Leute, die mich unfreundlich begrüßen und so schlage ich mein Zelt ein paar Meter weiter an einem Fischerteich auf. In der Nacht werde ich von Stimmen geweckt. Es ist zwei Uhr morgens. Vor meinem Zelt stehen drei Gestalten mit Angeln in der Hand. In der Nacht ist die Chance wohl größer Fische zu fangen, erklären sie mir. Ich stecke mir Ohrstöpsel in die Ohren und setze meine Schlafmaske auf. Als ich gegen sieben Uhr aufwache sind sie verschwunden. Plötzlich kommt ein Ranger angefahren. Er erklärt mir ich soll verschwinden. Zelten sei hier nicht erlaubt, nur in der Windschutzhütte, die 20 Meter weiter steht. Natürlich zeige ich mich kooperativ und breche ohne Frühstück auf.

Heute tut mir die linke Fusssohle weh. Es ist heiß und ich bin erschöpft von der letzten Woche. Die 40 Kilometer im Tagesschnitt, die Hitze und die vielen Höhenmeter machen sich nun bemerkbar. Mittags raste ich an einem See und unterhalte mich lange mit einer Familie. Ich spiele mit den Hunden Stöckchenwerfen und esse meine letzten Tortillawraps. Mit frischer Energie lassen auch die Schmerzen nach und ich erreiche am Abend Hjo, das malerisch am riesigen Vättern See gelegen ist. Nach sieben Tagen wandern werde ich hier nun eine Pausentag einlegen.

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