Sommer
12. - 19. Juni, Hallandsleden
Den Pausentag habe ich mir anders vorgestellt. Zwar scheint die Sonne, doch den ganzen Tag fegen starke Windböen über den Campingplatz. Ich werde früh vom kühlen Wind geweckt und verstetze vorsorglich das Zelt. Mit der Rückseite im Wind und relativ tief abgespannt lässt es sich vor dem provisorischen Windschutz ganz passabel aushalten. Trotzdem muss ich alle Klamotten inklusive Regenjacke anziehen damit mir einigermaßen warm ist. Eigentlich wollte ich ja den Tag entspannt am Fluss verbringen und schwimmen gehen. Bei der Kälte habe ich aber nicht so wirklich Lust darauf. Stattdessen verbringe ich einige Stunden im beheizten Hygienecontainer mit Steckdose. Während meine Geräte laden entferne ich einige Zecken von meinem Körper. Nach der Zehnten höre ich auf zu zählen. Diese kleinen Biester sind so klein dass man sie kaum erkennt und ich bringe mir die unmöglichsten Verrenkungen bei, beim Versuch diverse Stellen zu erreichen.
Am Nachmittag finde ich einen windgeschützten Platz in einem Holzschuppen. Dieser ist mit Stühlen und Tischen ausgestattet und soll wohl als Essbereich für die Campinggäste dienen. Noch ist er nicht ganz fertiggestellt und so reißen die Windböen an der Plastikfolien mit denen die Fenster verrammelt sind. Die Kopfhörer machen die Geräuschkulisse einigermaßen erträglich und so höre ich Musik und schreibe relativ uninspiriert am Blog. Nach der letzten Woche fühle ich mich noch immer recht niedergeschlagen. Ich telefoniere lange mit Daniela und ich habe ein schlechtes Gewissen sie mit meiner schlechten Laune zu belasten. Immerhin stämmt sie Haushalt und Beruf und muss nebenher auch noch als mein mentaler Stützpfeiler und Trail Manager herhalten. Jedenfalls bin ich sehr dankbar dass sie mich so unterstützt.
Am Nachmittag gehe ich einkaufen und versorge mich für die nächsten zwei Tage mit Proviant. Bezüglich meiner Schlafprobleme habe ich eine Entscheidung getroffen. Ich habe mir eine Luftmatratze gekauft, genauer gesagt die Sea to Summit UltraLight Insulated. Während meiner Verletzungspause in München konnte ich sie bereits Probe liegen und war sehr angetan. Daniela wird mir die Matte in meine nächsten Unterkunft nach Göteborg schicken. Das heißt ich muss nur noch sieben Nächte schlecht schlafen.
Am Abend lässt der Wind ein wenig nach und ich dehne mich noch lange bevor ich schlafen gehe.
Später als geplant verlasse ich morgens gegen neun Uhr den Campingplatz. Ich winke dem freundlichen frühstückenden Platzwart und verlasse die Ortschaft in Richtung Trail. Tatsächlich wird der Trail immer trailiger. Nach den ersten Kilometern auf Straße führt mich der Weg schon bald auf Singletrails durch dicht bewachsene Mischwälder. Auch Abwechslung ist geboten und der Wald wechselt sich mit offenen Moorlandschaften und naturbelassenen Viehweiden ab.
Gegen Mittag raste ich an einem See und am Abend erreiche ich sogar einen Nationalpark mit Wasserfall.
In dem anliegenden Ort esse ich eine Pizza und suche nach Schlafplätzen in der Nähe. In 10 km soll es einen günstigen Campingplatz geben und da es hier in Schweden auch erst um 11 Uhr dunkel wird habe ich genug Zeit. Das wird nun also der erste Tag sein an dem ich über 50 km laufe. Im wunderschönen Abendlicht spaziere ich mit vollem Magen entlang eines Flusses bis ich den Zeltplatz erreiche.
Der Eigentümer mäht gerade die Zeltwiese. Ich bin ihm wohl sympathisch und so darf ich umsonst übernachten. Sogleich fliehe ich vor den Mücken in mein Zelt. Der Motorsensenmann ist wohl aus härterem Holz geschnitzt und schwitzend mäht er noch eine ganze Stunde während ihn Wolken von Stechmücken umkreisen. Mit schlechten Gewissen sitze ich beim Abendessen im Zelt und wünsche den Mücken einen guten Appetit.
Am Morgen sind die Mücken immer noch nicht satt und so baue ich schnell das Zelt ab und mache mich ohne Frühstück auf den Weg. Ein paar Kilometer weiter habe ich die Viecher abgehängt und esse mein Müsli. Während ich so durch Instagram scrolle fällt mir eine Nachricht von Camilla auf. Camilla ist frischer Trail Angel der Via Suecia und unterstützt Wanderer mit Verpflegung, Dusche und Zeltplatz. Sie hat zufällig gesehen dass ich in der Nähe bin und läd mich nun auf einen Kaffee ein. Sie wohnt in Oskarström, direkt am Hallandsleden. Nach 20 km stehe ich vor ihrem Haus. Denke ich zumindest und will schon klingeln, da kommt mir ein zur Begrüßung hupendes Auto entgegen und biegt in die Einfahrt gegenüber ein. Camilla ist klasse. Ich bekomme Obst, Saft, Strom und sie kocht Rührei für mich. Insgesamt bin ich über zwei Stunden bei ihr zu Gast und wir unterhalten uns unter anderem über die Via Suecia. Am Ende des Sommers geht Camilla auf Promotion-Tour und wir werden uns im Fjell wiedersehen. Ich bekomme noch einen Patch für meinen Rucksack (Ich muss herausfinden wie ich diesen auf dem DCF anbringen kann) und verabschiede mich schließlich um noch ein paar Kilometer zu laufen. Am Abend zelte ich seit langem mal wieder im Wald.
Der Besuch bei Camilla hat mir gut getan und ich fühle mich langsam in Schweden angekommen. An die Straßenabschnitte, Mücken und Zecken habe ich mich gewöhnt und nun genieße ich auch die Landschaft.
Ich erreiche das Umland von Falkenberg und die Wälder weichen Viehweiden und Rapsfeldern. Mitten im Nirgendwo komme ich an einem Café vorbei. Leider ist es geschlossen und ich möchte schon wieder kehrt machen, da begrüßt mich ein ein bärtiger Mann. Montag und Dienstag sei zwar geschlossen aber einen Kaffee würde er mir dennoch anbieten. Wir kommen ins Gespräch und er ist ganz verdutzt ob meines Vorhabens. Er ist als ehemaliger LKW Fahrer zwar durch ganz Europa gereist aber zu Fuß kann er sich das überhaupt nicht vorstellen. Während mein Handy läd genieße ich die Gesellschaft von Marianne und Erik und die wohl besten Küchlein die ich seit Langem gegessen habe. Zu allem Überfluss bin ich auch noch eingeladen. Erik meint ich benötige die Stärkung.
Gestärkt mache ich mich schließlich auf in Richtung Vessigebro. Im lokalen Supermarkt kaufe ich Verpflegung für die nächsten drei Tage ein. Sechs Wraps, eine Avocado, Käse, Rucola, eine Paprika, zwei Äpfel, zwei Bananen, Müsli und Schokolade. In der Pizzeria essen ich zu Abend und versuche mich ein bisschen für die Europameisterschaft zu begeistern, die gerade übertragen wird.
Mit vollem Magen spaziere ich im Abendlicht zum nächsten See wo ich die ersten deutschen Urlauber treffe. Die beiden wollen eine Dorade aus dem See fischen. Sie sind bewaffnet mit vier Angeln und viel Elektronik. Alles piepst und blinkt und währenddessen wird Fußball geschaut. Schnell verabschiede ich mich wieder. Ein Stückchen weiter schlage ich am Ufer mein Zelt auf. Die Mücken sind an diesem Abend gnädig zu mir.
Auch am Morgen sind keine Mücken am Zelt. Entspannt packe ich zusammen und esse mein Müsli. Ich laufe keinen Kilometer da sehe ich schon wieder ein Café. Das hat zwar noch nicht geöffnet aber Kaffee bekomme ich trotzdem. Mit dem Besitzer verstehe ich mich blendend. Er erzählt wie er wegen Corona seine zwei Cafés in Falkenberg geschlossen hat und nun dieses Café auf dem Land eröffnet hat. Das erspart ihm das Pendeln und er hat mehr Zeit für zum Beispiel den Bienenstock, den er seit diesem Jahr aufgestellt hat. Von der Terrasse aus kann ich die fleißigen Bienen beobachten.
Bald ist es Mittag und ich muss noch Strecke machen. Mit bester Laune verlasse ich das dichter besiedelte Gebiet. Heute macht mir das Wandern Spaß, kurze Zeit jogge ich sogar ein bisschen. Es ist zwar warm, aber das dichte Blätterdach schützt vor der direkter Sonneneinstrahlung. Als es bergiger wird fange ich dann doch an zu schwitzen. Über Stunden werde ich von Fliegen und Mücken durch den moorig-feuchten Wald begleitet. Irgendwann versuche ich gar nicht mehr die Insekten zu verscheuchen und blende die ständigen Stiche aus.
Am Abend schlüpfe ich so schnell wie möglich in mein Zelt und schlafe bis 10 Uhr am nächsten Morgen. Bis ich aufbreche ist es Mittags. Ich habe Muskelkater von den letzten Tagen und es ist der heißeste Tag bislang. Mühsam schleppe ich mich über den Trail, der heute überraschend anspruchsvoll ist. Ständig geht es bergauf oder bergab. Das Wasser geht mir bald aus und ich zähle die Kilometer. Ich muss heute mindestens 35 Kilometer laufen damit ich am nächsten Tag rechtzeitig den Supermarkt erreiche. Zwar ist die Landschaft so schön wie am Tag zuvor, doch Ich verfluche jede noch so kleine Steigung und lenke mich mit Musik und Hörbuch ab.
Der Tag zieht sich in unerträgliche Länge, doch als ich abends mein Ziel erreiche, finde ich als Belohnung einen wunderschönen einsamen Zeltplatz am See. Ich wasche mir den Schweiß von der Haut und sammle die Zecken von den Beinen, Armen und wo sie sich sonst noch überall verbissen haben. Dabei beobachte ich den wunderschönen Sonnenuntergang.
Am Morgen breche ich früh auf bevor es zu heiss wird. Meine Beine sind zwar immer noch schwer aber ich bin besser gelaunt. Am Nachmittag erreiche ich den Supermarkt. Diesmal hatte ich wirklich knapp kalkuliert und wahrscheinlich zu wenig einkauft. Heute muss ich nur einen Tag überbrücken bis ich in Göteburg ankomme. Entspannt esse ich eine Pizza (Ich finde wieder einmal kein anderes Restaurant) und breche schließlich auf um die 2000 km vollzumachen. Im Gegensatz zu dem Tag der 1000 km Marke bin ich diesmal euphorisch. Ich nehme ein leicht bescheuertes Video für Instagram auf und suche mir einen Lagerplatz am See.
Um 4:30 Uhr bin ich wach und nutze den kühlen Morgen. Schon am Mittag liegen die 30 km hinter mir und ich checke im Hotel ein und nicht auf einem windigen Zeltplatz. In Göteborg werde ich zwei Pausentage einlegen um die letzte große Stadt auf meinem Weg zum Nordkap zu besichtigen.