Straße
5. - 11. Juni, Schweden, Via Suecia
Die neun Stunden auf der Fähre vergehen wie im Flug. Ich schreibe am Blog und lasse meinen Blick über das Wasser schweifen. Ich entdecke eine Mail in meinem Postfach. Als ich die Route überarbeitete und feststellte dass ich ziemlich genau der Via Suecia folge, registrierte ich mich auf der entsprechenden Website. Die Via Suecia soll den südlichsten und den nördlichsten Punkt Schwedens miteinander verbinden. Benny Borgh, der Initiator dieses Projektes schreibt mir nun ob ich mich zu einem Interview bereit erklären würde. Natürlich stimme ich zu und verabrede mich zu einem Telefonat am nächsten Morgen.
Als ich in Malmö ankommen frage ich den einzig anderen Reisenden, der ohne Fahrzeug nach Schweden übersetzte, ob er sich ein Taxi in mit mir teilen möchte. Es stellt sich heraus dass sein Auto einem Totalschaden in Deutschland zu Opfer viel und nun die Versicherung für seinen Transfer aufkommt. Das Gute ist ich kann umsonst mitfahren. Als ich in das Taxi steige und die Maske aufsetzen möchte erklärt er mir “You don’t need it in Sweden”. Tatsächlich sehe ich in ganz Malmö niemanden eine Maske tragen. Großartig, mal wieder ein paar Gram gespart.
Wenig später beziehe ich mein Hotel und spaziere noch etwas durch Malmö. Im Zentrum der Stadt wird gefeiert und ich bin etwas irritiert von dem ganzen Trubel. Nach einem deftigem Burger zum Abendessen gehe ich schlafen.
In der früh führe ich das Interview mit Jonas, wohl ein Freund von Benny und ehemaliger PCT Thruhiker, und lasse mir lange Zeit mit dem Frühstück. Mit der Bahn geht es weiter nach Smygehuk, wo ich meine Schweden Durchquerung beginnen möchte. Laura, wohl auch eine Freundin von Benny, trifft mich dort und macht ein paar Fotos. Tatsächlich bin ich wohl der Erste der offiziell der Via Suecia folgt, obwohl auch meine Route an ein paar wenigen Stellen von der Via Suecia abweicht. Jonas erkläre mir allerdings im Interview dass das kein Problem sei, so gehören Alternativrouten auch beim PCT oder CDT dazu.
Mit tiefen Zügen atme ich die Seeluft ein und schiesse noch ein paar Fotos. Laura ist ein wenig schüchtern und hat es eilig den vielen Leute an dem sehr touristischen Hafen zu entfliehen. Also verabschieden wir uns und ich ziehe gut gelaunt in Richtung Norden. Die Sonne scheint und ein angenehmer Wind macht die Hitze erträglich.
Ich habe mich nur wenig mit der Via Suecia beschäftigt, aber ich erwartete bereits dass die ersten Kilometer auf Straße verlaufen. Dennoch schlägt der harte Asphalt schon bald auf meine Laune. Die monotonen Schritte durch das immer gleiche, landwirtschaftlich geprägte Gebiet, ziehen die ersten 30 km in unerträgliche Länge. Das Yo-Yo ist eine willkommene Abwechslung und ich meistere die ersten Anfängertricks, wohlgemerkt während des Gehens.
Am Abend erreiche ich den Flughafen von Malmö und fülle dort mein Wasser für die Nacht auf der Toilette auf.
Ein paar Kilometer Hinter dem Flughafen beginnt ein Naturschutzgebiet mit einem offiziellen Lagerplatz an dem mein Zelt aufbaue. Es handelt sich um einen klassischen schwedischen Lagerplatz mit Zeltwiese, Windhütte, Klohäuschen, Feuerstelle und einem kleinen Teich. Alles ist wunderbar gepflegt. Kein Müll liegt herum. So hat der Tag doch noch ein kleines Highlight vorzuweisen.
Ich ziehe die Windhose an und streife mir das Mückennetz über den Kopf und esse zu Abend.
Am folgende Tag führt mich die Route aus dem Naturschutzgebiet direkt wieder auf Straße. Nur gelegentlich laufe ich mal kurze Zeit auf Schotter. Ich passiere einige kleinere Ortschaften und fülle Proviant auf. Am Abend schmerzen die Fußsohlen. Ich finde keinen Lagerplatz. Die ganze Gegend ist landwirtschaftlich genutzt und auf den eingezäunten, privaten Grundstücken möchte ich nicht wild campieren. Wohl oder übel checke ich in einem Bed and Breakfast ein. Es ist mit 60 € für ein kleines Einzelzimmers zwar etwas über meinem Budget, aber das WLAN ist gut und man kann aus der Gaststube die Reiterhalle beobachten.
Außerdem kann ich meine Wäsche waschen, was nach über einer Woche auch dringend notwendig ist.
Am Morgen frühstücke ich ausgiebig und laufe zurück auf die Straße. Diesmal entlang einer lärmenden Hauptverkehrsader.
Als ich auf einer Wiese rasten möchte werde ich kurz darauf von einer Anwohnerin harsch angegangen. Bei der Wiese handele es sich um Privatbesitz. Als ich ihr erzähle dass ich kein Obdachloser bin sondern durch Schweden wandere beruhigt sie sich und möchte mir auf Instagram folgen. So schnell hab ich es selten geschafft eine Situation zu deeskalieren. Erholt marschiere ich durch einen Ort und schließlich tatsächlich durch einen Wald, allerdings immer noch auf Straße. Die Landschaft wird schöner, geprägt von heimeligen roten Holzhäusern, kleinen Waldstücken und vielen Pferdeweiden.
Wanderwege lassen sich aber immer noch nicht blicken und alles Grüne ist eingezäunt. Schilder an jeder Einfahrt weisen auf Alarmanlagen hin. In Ermangelung eines Lagerplatzes muss ich auf einem Zeltplatz einchecken. 40 € für einen Stellplatz halte ich zwar für maßlos überteuert, aber in dem angrenzenden Naturschutzgebiet möchte ich nicht illegal übernachten.
Am nächsten Morgen freue ich mich schon auf das Naturschutzgebiet. Bald stelle ich resigniert fest dass mich meine Route um das Schutzgebiet herum führt, natürlich auf Teerstraße. Immerhin werde ich wohl am kommenden Tag den Hallandsleden erreichen, ein schwedischer Fernwanderweg, dem ich bis Göteborg folgen werde. Drei Tage lang bin ich jetzt fast Niemandem begegnet, abgesehen von vorbeifahrenden Autos. Nur einmal hält ein freundlicher Schwede und fragt ob er mich mitnehmen soll. Das erste mal auf Tour fühle ich mich einsam. Den engsten Kontakt habe ich mit ein paar Pferden die mich eine Weile am Weidezaun begleiten und einer Herde Schafe die schier durchdrehen als ich an ihnen vorbeilaufe.
Am Abend komme ich an einem Hof vorbei und sehe einen Mann der mich hinter dem Fenster begutachtet. Kurzentschlossen klingele ich und frage nach Wasser. Erst wirkt er etwas abweisend, taut dann aber schnell auf und wir unterhalten uns lange. Scheinbar hat sich auf beiden Seiten einiges an Gesprächsbedarf aufgestaut. Er fragt mich ob ich keine Angst vor Kriminalität habe. Offensichtlich ist er eher von der vorsichtigen Sorte, worauf auch die ganzen Überwachungskameras auf dem Grundstück hindeuten. Aus diesem Grund frage ich auch nicht ob ich auf dem Hof zelten dürfe sondern schlage mein Zelt ein paar Kilometer weiter in einer Gras überwachsenden Forststraße auf. So schnell wie möglich esse ich zu Abend um vor den Mücken in mein Zelt zu fliehen.
An diesem Abend denke ich das erste mal an Abbruch. Insgesamt habe ich nun wohl schon über 120 km in Schweden auf Straßenbelag zurückgelegt. Mental und körperlich fühle ich mich ausgelaugt. Es gab keine besonderen Begegnungen und mir war fast durchgehend langweilig. Die Aussicht, die nächsten 1000 km durch Wald zu laufen bevor ich das Fjell erreiche stimmen mich auch nicht positiver. Zudem schlafe ich schlecht. Als Rückenschläfer kam ich lange Zeit super mit meiner Faltisomatte zurecht. Mittlerweile sind meine Ferse aber sehr druckempfindlich geworden. Meine Versuche mir mit Hilfe meiner Klamotten ein Kissen für die Füße zu basteln funktionierten auch nicht richtig und so verbringe ich unruhige Nächte auf der Suche nach einer halbwegs bequemen Schlafposition.
Als ich aufwache hat sich bereits ein hungriger Schwarm von winzigen Mücken vor meinem Zelt versammelt. Sofort als ich das Zelt verlasse stürzen sich die Biester auf mich und finden sogar einen Weg unter das Mückennetz. In Rekordzeit baue ich das Zelt zusammen und nehme reiß aus. Das Frühstück nehme ich auf einem nahen Golfplatz zu mir und prüfe die Route. In zehn Kilometer sollte ich auf den Hallandsleden stoßen. In freudiger Erwartung liegt die Strecke schnell hinter mir und der Trail wird nun auch schöner. Endlich bin ich runter von der Straße und folge einem schattigen Pfad durch den Wald. Auf Straße laufe ich an diesem Tag nur noch wenige kurze Male. Ansonsten wechseln sich Forststraßen mit Singletrails ab. Abends stoße ich auf einen sehr gut gepflegten Lagerplatz.
Am Morgen sind es nur 20 km bis zum nächsten Campingplatz, an dem ich einen Pausentag einlegen möchte. Der Streckenverlauf macht Spaß und schon bald erreiche ich Knärred, wo ich meinen ersten Pausentag in Schweden verbringen werde.