Gut Runst!
24. - 29. April, Rennsteig, Wera-Burgen-Steig
Die Tür öffnet sich und Hans empfängt mich nach echte Thruhiker-Manier. Das heißt er zeigt mir unverzüglich Kühlschrank, Dusche und Waschmaschine. In genau dieser Reihenfolge kümmere ich mich um Magen und Hygiene. Als allererstes schiebe ich natürlich eine Pizza in den Ofen.
Hans war schon auf dem Appalachian Trail und verschiedenen alpinen Expeditionen und das zu einer Zeit in der man sich die Klettergurte noch selbst nähte. Unterstrichen werden seine Erzählungen durch das Sammelsurium aus Ausrüstungsgegenständen, die sich über das ganze Haus verteilen. Darunter finden sich Zelte, selbstgenähte Rucksäcke, ein kleines Labor aus verschiedenen Gas und Spiritus Brennern, Schlafsäcke, Quilts und vieles mehr. Zu allem hat Hans Geschichten zu erzählen und so vergeht der Abend vor dem rauchenden Kaminfeuer wie im Flug. Er lüftet auch das Geheimnis um den Hund, der mich fressen werde. Hans hilft seiner Nachbarin Katrin ihren Hund Kira zum Spürhund auszubilden. Ich soll am nächsten Morgen die erste fremde Fährte legen. Damit Kira meine Fährte aufnehmen kann, hauche ich am Abend drei mal in eine Plastiktüte, welche Hans sogleich verschließt.
Als ich spät nachts schlafen gehe zeigt mir Hans nicht nur ein Bett, sondern auch eine Hängematte als mögliche Schlafoption. Man müsse sich diagonal hineinlegen, um ebenerdig zu liegen, erklärt er mir. Das muss ich natürlich sofort ausprobieren und tatsächlich verbringe ich eine überraschend bequeme und erholsame Nacht.
Am nächsten Morgen, nach jeder Menge Kaffee und Pancakes, lege ich die besagte Fährte für Kira. Hans und ich trennen uns an der Haustüre. Während Hans Katrin und Kira abholt, laufe ich einmal um das ganze Dorf und anschließend tief in den Wald. Dort angekommen stelle ich mich darauf ein lange warten zu müssen, aber falsch gedacht. Ungefähr zehn Minuten später prescht Kira durch das Dickicht und fällt mir um den Hals. Ich gebe Kira ihr Spielzeug und sie führt Katrin und Hans zu mir. Obwohl ich weiß dass Hunde zur Vermisstensuche eingesetzt werden bin ich verblüfft wie spielend leicht Kira mich finden konnte.
Nach dem Hundetraining packe ich meine Sachen zusammen. Bevor ich aber losziehe schenkt Hans mir einen selbstgenähten Geldbeutel. Um Gewicht zu sparen hatte ich meine Karten und Bargeld lose in einer Klarsichthülle. Das Kleingeld verteilte sich natürlich ständig in meiner Bauchtasche. Der neue Geldbeutel löst dieses Problem erinnert mich an Hans herzliche Gastfreundschaft.
Auf dem Weg zurück zum Rennsteig verlaufe ich mich ein paar mal und muss einige zusätzliche Anstiege auf mich nehmen. Als Ich schließlich in Neustadt am Rennsteig ankomme plündere ich ausgehungert den Supermarkt. Die nächsten sieben Tage habe ich keine Unterkunft und ich muss durchschnittlich 40 km am Tag bis zum Couchsurfing in Göttingen zurücklegen. Ein paar zusätzliche Rationen können also nicht schaden.
Der Rennsteig macht seinem Namen alle Ehre und ich komme dank der Wanderautobahnen zügig voran. Nur der mittlere Abschnitt macht mir etwas zu schaffen, da ich hier regelmäßig durch Restschnee stapfen muss. Der Rennsteig wird abschnittsweise nicht nur als Fahrradweg sondern im Winter auch als Langlaufloipe genutzt und der präparierte Schnee hält sich häufig bis in den späten Frühling hinein. Hier treffe ich auch die ersten anderen Fernwanderer auf dem Rennsteig. Zunächst ein Pärchen, die schweißgebadet riesige Rucksäcke mit sich schleppen. Dann einen Berliner mit einem noch größeren Rucksack, der wohl seinen ganzen Hausstand mit sich führt. Er begutachtet ein bisschen irritiert meinen kleinen Rucksack und fragt sich wohl ob ich ihn auf den Arm nehme, als ich erzähle, dass ich damit bis zum Nordkap laufen möchte. Danach treffe ich einen erfahrenen und unglaublich bärtigen Thüringer. Er klärt mich mit starken Dialekt über den Rennsteig auf. Man grüße sich hier mit „Gut Runst!“ und der Rennsteig hieße gar nicht Rennsteig sondern Marille um Verwechslungen mit anderen Wanderwegen vorzubeugen. Den angeblichen Namen kann ich allerdings nirgendwo im Internet finden. Vielleicht habe ich ihn aufgrund seines Thüringer Dialekts nicht richtig verstanden oder aber er hat zu viel vom eben diesem Marillen-Schnaps getrunken. Wahrscheinlich wird es ein bisschen etwas von beidem gewesen sein, denke ich mir.
Schließlich läuft mir der sympathische Thomas über den Weg, der sobald er in Rente ist, von Düsseldorf zum Nordkap wandern möchte. Ich gebe ihm ein paar Tipps und Thomas verrät mir im nächsten Tal gäbe es frische Bratwurst. Von der frohen Kunde beflügelt erhöhe ich mein Tempo und lege die Strecke in rekordverdächtiger Zeit zurück. Bei der Bratwurstbude angekommen esse ich gleich drei Semmeln und darf meine Powerbank aufladen. Die nächsten eineinhalb Stunden schreibe ich am Blog und hole mir stetigen Kaffeenachschub. Mit vollem Magen, voller Powerbank und riesigen Pupillen mache ich mich an den letzten größeren Anstieg des Rennsteigs. An diesem Tag komme ich bis kurz vor Eisenach wo ich einen perfekten Platz für mein Zelt finde.
Plötzlich höre ich einen Schuss. Ich erinnere mich an Bastians Warnung dass der Rehbock ab Mitte April geschossen wird. Hoffentlich verwechselt mich kein kurzsichtiger Jäger mit dem scheuen Rotwild. Da meine Verpflegung zur Neige geht, gibt es an diesem Abend nur Knäckebrot mit Käse. Für den Morgen habe ich zwar noch Müsli aber ich muss dringend meine Vorräte wieder auffüllen.
Am nächsten Mittag stehe ich am Ende des Rennsteigs in Hörschel. Die Strecke von fast 170 km habe ich in weniger als fünf Tagen hinter mich gebracht und das trotz des Umwegs zu Hans. Ich bin stolz aber auch hungrig und so nehme ich die Bahn in den nächsten Ort um den dortigen Supermarkt leer zu kaufen. Zurück auf dem Trail stelle ich fest dass meine Routenplanung mal wieder für die Tonne ist. Auf meinem GPS Gerät verläuft eine schnurgerade Linie durch das Gelände in Richtung E6, dem ich bis Wolfsburg folgen möchte. Offensichtlich habe ich hier nur zwei Wegpunkte miteinander verbunden ohne irgendwelche Wege zu berücksichtigen. Weil ich nicht durch Flüsse schwimmen und quer durch Felder laufen möchte setze ich mich in die Kirche und plane neu. Die Planung ergibt dass es nun 50 km mehr bis nach Göttingen sind. Müde und ein bisschen gehetzt schultere ich den vom Einkaufen ziemlich schweren Rucksack und wandere los.
Nach dem dichten Nadelwald ist die Landschaft erfrischen abwechslungsreich. Die hiesigen Laubwälder fangen an grün zu werden und überall wachsen Frühjahrsblüher und Bärlauch. Der kommende Abschnitt des E6 verläuft parallel zum Wera-Burgen-Steig durch Hessen und gefällt mir ausserordentlich gut.
In einer Packstation in Eschwege erwarten mich nagelneue Schuhe. Meine Alten beginnen sich langsam aufzulösen . Das Mesh-Gewebe löst sich bereits von der Sohle und es ist kaum noch Profil an der Ferse. Mit den neuen Schuhen an den Füßen folge ich weiter dem Wera-Burgen-Steig.
Neben den namensgebenden Burgen, die es an jeder Ecke zu bestaunen gibt, tragen vor allem die Laubwälder und Obstgärten dazu bei, dass ich eines Tages unbedingt nochmal den ganzen Steig wandern möchte. Leider muss ich schon früher abbiegen und folge dem E6 weiter in Richtung Göttingen.