Sprint nach Abisko
17. - 22. August, Kungsleden (Tjäurakåtan - Abisko)
Der Wecker klingelt um fünf Uhr. Ich möchte die einzigen trockenen Stunden des Tages nutzen und packe schnell zusammen. Im stillen Morgengrauen steige ich zunächst ab aus dem Fjäll und laufe durch einen Birkenwald. Zahlreiche Zelte säumen den Weg. Zumindest werde ich also nicht der einzige nasse Wanderer sein.
Pünktlich auf die Minute fängt es an zu regnen. Schnell lege ich meine minimalistische Regenkleidung an. Dass sie mich trocken hält erwarte ich nicht. Ich bin zufrieden wenn ich einigermaßen warm bleibe. Solange ich durch den Wald wandere funktioniert das gut. Aber mit jedem Meter den ich in das Fjäll aufsteige wird es windiger. Bald bin ich dem Wind schutzlos ausgeliefert. Mein flatternder Regenrock hat nur noch dekorativen Wert und flattert chaotisch um meine Hüften. Auch meine Handschuhe haben dem peitschendem Regen wenig entgegen zu setzen.
Ein Schild weist die Strecke bis zur nächsten Schutzhütte mit 15 km aus. Ab jetzt heißt es Augen zu und durch. Der Wind reißt an mir und bringt mich immer wieder aus dem Gleichgewicht. Meine Hände sind Eisklumpen. Weit und breit ist keine Menschenseele unterwegs. Ich brülle dem Sturm entgegen. Ein externer Beobachte würde meinen ich wäre wahnsinnig.
Kurz vor einer Anhöhe bin ich windgeschützt. Ich halte inne bis ich merke wie mir die Kälte in die Knochen kriecht. Also steige ich die wenigen verbleibenden Meter auf und bin wieder komplett exponiert. Gegen die nasse Kälte hilft nur Bewegung. Vor mir sehe ich die ersten anderen Wanderer des Tages. Der Anblick meiner Leidensgenossen lässt ein seltsames Gefühl von Verbundenheit und Motivation aufkommen. Im leichten Laufschritt habe ich die Wanderer schnell eingeholt. An eine Unterhaltung in dem Wetter ist aber nicht zu denken. Wir nicken uns kurz zu bevor sich unsere Wege wieder trennen.
Ich behalte mein Tempo bei und habe irgendwann das Fjäll überquert. Ich fliehe in das schützende Tal und erreiche die Fjällstuga. Drinnen sitzen bereits zwei Schutzsuchende und ein Feuer wärmt die kleine Stube. Wir unterhalten uns während ich versuche meine nassen Klamotten auszuziehen. Da meine Hände taub sind müssen sie mir helfen den Brustgurt meines Rucksacks zu öffnen.
Eine halbe Stunde später kommen die beiden anderen Wanderer aus dem Fjäll an und die Hütte wird zu eng. Also packe ich zusammen und mache mich auf den Weg. Bis zum nächsten Bootableger sind es nur 12 km. Gottseidank verläuft der Weg durch den Wald.
Als ich ankomme habe ich die reguläre Überfahrt am Nachmittag verpasst. Das Privatshuttle kostet zwar 300 Kronen aber die liebenswürdige Helena bietet mir beste Unterhaltung auf der Überfahrt.
Es regnet noch immer. Durch die Nässe habe ich mir einen Wolf gelaufen und ich fühle mich maximal miserable. Müde schlürfe ich die letzten Meter zur Fjällstation in Kvikkjokk. In der Lobby ist die Hölle los. Alle Zimmer sind vergeben und Abendessen gibt es auch nicht. Dafür treffe ich Anne, Nathalie und Sabrina mit denen ich über Instagram in Kontakt bin. Die Drei wollten eigentlich schon weiter, haben es sich dann aber aufgrund des Wetters anders überlegt. Sie laden mich zu ihnen in die Hostel Küche ein. Davor plündere ich aber noch den kleinen Laden der Fjällstation. Bepackt mit Käsesemmeln, Chips und Fanta geselle ich mich zu ihnen. Langsam werde ich warm und unter mir bildet sich eine Wasserlache. Im Trockenraum hänge ich meine Klamotten auf und baue danach mein Zelt auf der sumpfigen Zeltwiese auf. Mit Käsesemmelnachschub verbringen wir den Abend in der Gemeinschaftsküche und dem Aufenthaltsraum.
Dort packen die Mädels nochmal den Rucksack von Sabrina um. Zu dritt machen sie sich am nächsten Morgen auf auf den Padjelantaleden, während ich weiter dem Kungsleden folgen möchte.
Wir philosophieren noch eine Weile über das Wandern, wie unterschiedlich doch unsere Ansätze sind und wie egal das eigentlich ist. Anschließend sitze ich noch eine Weile alleine im Aufenthaltsraum bis meine Klamotten trocken genug sind um schlafen zu gehen.
In der früh kaufe ich ein für die nächsten zwei Tage. Als ich gerade das Essen in den Rucksack stopfe, begrüsst mich ein weissbärtiger Schwede. Mit einem süffisanten Grinsen fragt mich ob ich wüsste was ich getan hätte. Ich benötige eine Weile bis ich ihn als einen der Wanderer in der Schutzhütte erkenne. Gedankenlos habe ich bei meinem eiligen Aufbruch von außen den Riegel vorgeschoben. Eingesperrt in der Hütte musste der Kleinste von ihnen aus dem Fenster klettern um die Gefangenen zu befreien. Peinlich berührt entschuldige ich mich vielmals und verlasse dann die Fjällstation.
Nach dem ganzen Regen am Vortag scheint es nun trocken zu bleiben. Der Trail ist felsig und anstrengend zu laufen. Das bleibt auch so bis zum steilen Aufstieg in das Fjäll. Von oben hat meine tolle Aussicht in Richtung Sarek Nationalpark.
Beim Boot angekommen plaudere ich mit den anderen Wanderern. Die meisten wandern den Kungsleden. Einer will zwei Wochen in den weglosen Sarek Nationalpark. Die Stimmung ist fröhlich, die Überfahrt ist nass und kalt.
Von Aktse laufe ich noch eine Weile bis zum nächsten Ableger. Es fährt kein Boot mehr und Boote zum selber rudern gibt es hier keine. Also schlage ich mein Zelt auf um den nächsten Morgen abzuwarten.
Ich bin als erster am Steg. Ich dachte das Boot legt um acht Uhr ab und so starre ich jetzt Löcher in die Luft. Etwas abseits beobachte ich Jemanden beim Zusammenpacken. Ich sehe ein Packraft (portables Schlauchboot) und erkenne ihn als einen Abenteurer, der versucht den Kungsleden ohne jegliche Unterstützung zu durchwandern. Das bedeutet die komplette Verpflegung und ein Boot für die Flussquerungen müssen von Anfang an geschultert werden. Ich frage ob ich ihm helfen könne sein Equipment zum See zu tragen. “That’s not allowed!”, bekomme ich prompt die Antwort. Schließlich darf Louis-Philippe Loncke keine Hilfe bei seinem Rekordversuch annehmen. Der Belgier ist sichtlich angespannt und sucht nur selten Blickkontakt, während er unverständlich in sich hinein grummelt.
Während er routiniert sein kleines Boot aufbaut erzählt er angespannt dass das Boot undicht ist. Mir wird klar dass sein seltsames Verhalten wohl damit zusammenhängt dass er nicht weiß ob er das andere Ufer erreichen wird. Der Gletscherfluss aus dem Sarek ist breit und hat eine nicht unbeachtliche Strömung. Das kleine Boot wirkt dagegen wie eine Nussschale ohne nennenswerte Stabilität und Tiefgang.
Das Motorboot kommt an und Louis-Philippe legt ab. Schnell paddelt er auf den Fluss hinaus und als wir mit dem Motorboot vorbeifahren filmt er uns mit seiner GoPro.
Am anderen Ufer soll ich 300 Kronen für die Überfahrt bezahlen. Ich kratze mein letztes Bargeld zusammen und zähle nur 270 Kronen. Aber die Sami sind modern und so zahle ich einfach per Paypal.
Weiter geht es hinauf in das Fjäll. Entgegen der Wettervorhersage kommt die Sonne heraus und zeigt die Hochebene von ihrer besten Seite. Die starken Windböen machen mir in der Wärme nichts aus. Da mein Zelt nass und dreckig von den letzten Tagen ist suche ich mir eine exponierte Stelle und teste die Sturmtauglichkeit. Mehrmals reißt der Wind die Heringe aus dem Boden. In der Hocke reißt mir meine Windhose zwischen den Beinen. Über 4000 km hat mein liebstes Kleidungsstück gehalten, jetzt zieht es unangenehm kalt am Hintern.
Schließlich schaffe ich einen stabilen Aufbau und fühle mich gewappnet für die Finnmark. Die starken Böen trocknen das Zelt in Windeseile. Nachdem ich den übriggebliebenen Dreck abgeklopft habe, packe ich das Zelt zusammen und lege die verbleibende Strecke nach Saltoluokta zurück. Von dort aus nehme ich das letzte Boot auf das andere Flussufer.
Hier gibt es zwar einen Bus zur nächsten Kungsleden Etappe, aber ähnlich wie Louis möchte ich diese Hilfe nicht annehmen. Im schönsten Abendlicht laufe ich die Straße entlang zur Stora Sjöfallet Mountain Lodge, wo ich mir ein Zimmer gebucht habe.
Nachdem das Versorgungspaket aus Hemavan im PostNord Service Center verschollen war, hatte ich mich beim Kundendienst beschwert. Nun wurde es tatsächlich geliefert. Ich beziehe mein Zimmer und genehmige mir ein teures Abendessen. Dabei unterhalte ich mich mit Theotime, der im Hotel arbeitet. Als hardcore Ultralighter ist er sehr interessiert an meiner Ausrüstung und so fachsimpeln wir bis das Restaurant schließt über Tarps im Fjäll, Regenschutz und Bug Protection. Ein bisschen schäme ich mich dabei für meine 5,8 kg Basisgewicht. Theotime ist im Fjäll mir nur 3,2 kg unterwegs.
Die letzten Tage reifte eine Idee in mir. Über Instagram bin ich mit Romy im Kontakt. Auch sie ist mittlerweile 2500 km durch Schweden gewandert und auf dem Weg zum Nordkap. Aktuell hofft sie in Abisko dass Norwegen die Einreisebedingungen lockert. Wir planen im schlimmsten Falle zusammen über die Grenze zu gehen und uns die Quarantäne zu teilen. Danach wollen wir zusammen bis zum Nordkap laufen. Da Romy nicht in meinem Tempo unterwegs ist will ich testen zu was ich in der Lage bin. Grob formuliere ich das Ziel. Meinen Berechnungen zur Folge sind es 120 km nach Abisko. Das sollte in zwei Tagen zu schaffen sein. Sorgfältig plane ich die Verpflegung um unnötiges Gewicht zu vermeiden. Ich rechne einen Riegel pro Stunde die ich wandere, Knäckebrot und Salami zum Abendessen und ein paar Nüße für zwischendurch. Den Rest aus dem Versorgungspaket schenke ich Theotime.
Der Wecker klingelt um 6:30 Uhr. Um 7:00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Mein Plan ist wie folgt. Ich mache eine Pause bei der kommenden Flussquerung. Während ich rudere kann ich die Beine ausruhen. Ansonsten erledige ich alles im Laufen. Essen, Trinken, Zähne putzen und navigieren. Andrew Skurkas Technik um während des Laufens zu pinkeln habe ich leider noch nicht gelernt.
Motiviert bringe ich die ersten 20 km bis zum Wiedereinstieg auf den Kungsleden hinter mich. Regen begleitet mich in den Morgenstunden. Dann wird es trockener und nach dem Aufstieg in das Fjäll ziehe ich die Regenjacke aus. Ich komme gut voran. Kilometer für Kilometer rauschen an mir vorbei, mein Kopf ist frei und ich bin glücklich.
Am Bootsanleger sind zwei Boote angebunden. Ohne Zögern schiebe ich ein Boot ins Wasser und springe an Bord. Dann fange ich an zu paddeln. Leichte Wellen von der Seite bringen mich immer wieder in Schräglage. Ungefähr in der Mitte des Sees lässt mich eine große Welle fast kentern. Aus Schreck lasse ich die Ruder los und sie rutschen aus den Halterungen ins Wasser. Der Wind lässt mich so schnell abtreiben dass ich sie nicht rechtzeitig erreichen kann. Schnell lege ich mich in den Bug und paddele verzweifelt mit den Armen. In Zeitlupe nähere ich mich den Paddeln und kann sie schließlich wieder an Bord holen. Aufgepeitscht vom Adrenalin rudere ich in Rekordtempo zum andern Ufer. Bei der bewirtschaften Hütte kaufe ich Cola und Chips und ruhe mich einen Moment aus. Ich unterhalte mich mit dem Hüttenwirt, der mich fotografiert und vom Münchner Bier schwärmt. Es ist Mittags und ich habe bereits 36 km zurückgelegt.
Das Laufen ist heute ein Kinderspiel. Als ich aufbreche geht es steil bergauf, aber ich fange nicht mal an zu schwitzen. Meine Füße finden automatisch den Weg und ich lasse meinen Blick schweifen. Die Landschaft ist toll. Die reißende Flüsse und kahlen schneebedeckten Berge wirken wie von einer anderen Welt.
Es wird Abend und es sind keine andere Wanderer unterwegs. Alle liegen schon in ihren Zelten. Aber ich laufe immer weiter. Solange ich oben Schokoriegel reinschiebe bewegen sich meine Füße. Als es dunkel zu werden beginnt putze ich Zähne und suche dann einen Zeltplatz. Der Aufbau ist in fünf Minuten erledigt. Das GPS Gerät zählt 65 km. Ich krieche ins Zelt und schlafe ein.
Der Wecker klingelt um vier Uhr. Ich packe zusammen und bin 15 Minuten später wieder unterwegs. Ich esse zwei Proteinriegel und ein Snickers zum Frühstück. Bald habe ich die höchste Stelle des Kungsleden erreicht. Im Vergleich zu den Flowtrails am Vortag ist der Trail heute sehr felsig. Plankenpfade erleichtern gelegentlich das Vorankommen.
Stunde um Stunde vergehen, Schokoriegel nach Schokoriegel werden verdaut.
Mittags ist einiges los und ich beobachte fasziniert die anderen Wanderer. Obwohl ich versuche demütig zu sein bin ich stolz auf meine Professionalität. Ein bisschen Neid versprüre ich auch. Für die meisten anderen Wanderer sind die Erfahrungen auf dem Trail noch frisch und aufregend, für mich sind sie Alltag geworden.
Nach der Mittagspause von zwanzig Minuten steige ich weiter ab. Vorbei an türkisfarbenen Gletscherseen und sich verändernder Vegetation. Das bräunliche Gras der Hochebene wird abgelöst von grünem Gestrüpp bis ich im Tal die Grenze zum Birkenwald erreiche. Am Nachmittag kommt die Sonne heraus und begleitet mich den restlichen Weg bis Abisko. Um sieben bin ich am Fjällcenter.
Dieses Jahr ist hier das offizielle Ende der Via Suecia und des Gröna Bandet. Ich habe heute 62 km zurückgelegt. Damit bin ich den Kungsleden in 11 Tagen gelaufen und das Gröna Bandet in 29 Tagen. Meine Variante der Via Suecia über 2700 km habe ich in 78 Tagen zurückgelegt. Seit Beginn meiner Reise bin ich 4300 km in 145 Tagen gelaufene
Ich bin stolz, euphorisch und zufrieden. Nachdem ich eingecheckt habe reserviere ich zur Feier des Tages ein Tisch im Restaurant.